Markus Braun, Ex-Chef von Wirecard, streitet sich mit der CHUBB vor Gericht über die Begleichung seiner Abwehrkosten. Seine D&O-Versicherung will bei Wirecard keine Abwehrkosten zahlen.

UPDATE:
Auch das OLG Frankfurt (Urteil vom 7.7.2021, Az.: 7 U 19/21) sieht den Versicherer in der Leistungspflicht. Damit hat es sich der Vorinstanz angeschlossen.

Im Zentrum der Entscheidung stehe, so der Senat in seiner Begründung, die Frage, ob die Verfügungsbeklagte sich auf Leistungsausschlüsse wegen einer arglistigen Täuschung bei Vertragsverlängerung berufen könne oder aber dem die Zusage von vorläufigen Verteidigungskosten nach Ziffer 7.1.3 entgegenstehe. Ziffer 7.1.3 lautet: „Im Zweifel (Unterstreichung hinzugefügt) über das Vorliegen einer wissentlichen Pflichtverletzung oder vorsätzlichen Pflichtverletzung wird der Versicherer Verteidigungskosten gewähren. Dies gilt auch, wenn der Anspruch auf Schadensersatz oder das Verfahren auf eine Rechtsnorm gestützt wird, deren Voraussetzungen nur bei Vorsatz erfüllt sein können. Steht das Vorliegen einer wissentlichen oder einer vorsätzlichen Pflichtverletzung fest, entfällt der Versicherungsschutz. Als Feststellung gilt eine rechtskräftige Entscheidung oder ein Eingeständnis der versicherten Person, aus der/dem sich die Tatsachen ergeben, welche die wissentliche oder vorsätzliche Pflichtverletzung belegen.“

Damit trägt der D&O-Versicherer, was ihm aber auch bewusst ist, das Insolvenzrisiko der versicherten Person für den Fall, das sie später bei rechtskräftig festgestelltem Vorsatz die Abwehrkosten wieder zurückzahlen muss.

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Braun sitzt nach der Wirecard-Insolvenz seit fast einem Jahr in Untersuchungshaft. Er hat mehrere hochkarätige Anwaltskanzleien mit seiner Verteidigung beauftragt und beschäftigt auch einen PR-Experten. Die Kosten dafür soll jetzt die D&O-Versicherung tragen. Die gesamte D&O-Deckungsstrecke von Wirecard beträgt angeblich EUR 125 Mio, berichtet der Versicherungsmonitor im vergangenen Juni. CHUBB sei als führender Versicherer in der Grunddeckung mit zu EUR 15 Mio. exponiert. Weitere Versicherer sind die Swiss Re, Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) und ANV. In einem früheren Beitrag wurde schon auf einen möglichen D&O-Schadenfall hingewiesen.

Wird ein Mitglied der Unternehmensleitung wegen einer Pflichtverletzung in Anspruch genommen, deckt eine D&O-Versicherung die oft hohen Anwalts- und Gerichtskosten zur Abwehr eines unbegründeten Anspruchs (1. Säule) und die Versicherungsgesellschaft garantiert bei ausreichend hoher Deckungssumme den Schadensausgleich im Falle berechtigter Haftungsansprüche (2. Säule). Somit ist es absolut üblich und im Falle der Managerhaftung auch notwendig, dass die D&O-Versicherung für die Abwehrkosten der versicherten Personen aufkommt. Nur so kann sich der Manager adäquat verteidigen.

Allerdings leisten die D&O-Versicherer u.a. nicht, wenn es sich um eine vorsätzliche bzw. wissentliche Pflichtverletzung handelt. Das setzt in der Regel allerdings ein rechtskräftiges Urteil voraus. Bis dahin haben die Versicherer aber Abwehrkosten zu leisten und können sich das Geld im Falle eines rechtskräftig festgestellten Vorsatzes von dem versicherten Manager zurückzuholen. Dabei trägt der Versicherer dann nicht nur das Beweisrisiko eines Ausschlusses sondern natürlich auch dessen Insolvenzrisiko.

Braun hat im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes die Abwehrkosten geltend gemacht und auch größtenteils vom LG Frankfurt (Urteil vom 18.01.2021, Az. 2-08 O 320/20) obsiegt. CHUBB ist in Berufung gegangen (Az. 7 U 19/21).

Der D&O-Versicherer lehnte den Deckungsschutz bisher ab und führte aus, der Versicherungsschutz sei vorliegend ausgeschlossen, weil der Braun jedenfalls ab 2016 gefahrerhöhende Umstände verschwiegen und die CHUBB arglistig getäuscht habe. Die Finanzberichte seien seit 2015 wegen der Einbeziehung angeblicher Umsatzerlöse unzutreffend und stellten die wirtschaftlichen Verhältnisse von Wirecard falsch dar, was Braun bekannt gewesen sei, so dass die Ausschlüsse in Ziffern 7.3.1, 7.3.2 OLA eingriffen. Hilfsweise sei der Versicherer leistungsfrei, weil Braun seine Anzeigeobliegenheit gemäß Ziffern 9.1.2, 9.3 OLA verletzt habe, indem er gefahrerhöhende Umstände nicht angezeigt und den D&O-Versicherer dadurch veranlasst habe, den Versicherungsvertrag zu verlängern.

Insoweit wird die Entscheidung mit Spannung erwartet, da sie grundlegende Fragen der D&O-Versicherung betrifft, wie z.B. das Verhältnis des Ausschlusses für vorsätzliche oder wissentliche Pflichtverletzung zum Ausschluss bei arglistiger Täuschung. Auch könnte geklärt werden, welches Konzernwissen sich ein CEO im Rahmen einer Ressortverteilung von anderen Kollegen zurechnen lassen muss und was bei einer Vertragsverlängerung des D&O-Vertrages alles angezeigt werden muss, um keine deckungsschädliche Gefahrerhöhung zu verwirklichen.

Erstinstanzlich hatte das LG Frankfurt bisher wie folgt argumentiert:

1.
„Betrachtet man die systematische Anordnung der Regelungen, dürfte davon auszugehen sein, dass die Regelungen selbständig und unabhängig voneinander zu sehen sind. Sie sind unter der gemeinsamen Abschnittsüberschrift „Ausschlüsse“ unter verschiedenen Ziffern geregelt: Ziffer 7.1 OLA beschäftigt sich mit Wissentlichkeit und Vorsatz, Ziffer 7.3 OLA mit der Arglist. Entsprechend wird die Verpflichtung zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes auch auf die Tatbestände der Wissentlichkeit und des Vorsatzes beschränkt. Diese Trennung der beiden Ausschlussgründe dürfte auch inhaltlich nachvollziehbar sein. Während Wissentlichkeit und Vorsatz sich auf die Art der Pflichtverletzung beziehen und damit auf das Haftungsverhältnis der versicherten Person zum geschädigten Dritten, betrifft die Frage der arglistigen Täuschung ausschließlich das versicherungsrechtliche Deckungsverhältnis zur Antragsgegnerin und deren Leistungspflicht.“

Auszüge aus den CHUBB OLA 2015 Primeline:

2.
Ein aktiver Beitrag des ehemaligen CEO bei der Kommunikation mit der D&O-Versicherung betreffend die jeweiligen Vertragsverlängerungen wurde aber nicht dargetan. Weder sei erkennbar, dass Braun unmittelbar an den auf eine Vertragsverlängerung zielenden Erklärungen beteiligt war, noch ergibt sich ein konkreter Anhalt dafür, dass Braun persönlich in die von der Verfügungsbeklagten vorgenommenen Risikoprüfungen einbezogen war.

Das einzige auf die Vertragsverlängerung direkt bezogene Vorbringen der CHUBB erschöpft sich in der Anmerkung, Braun räume selbst ein, mit Vorstandsbeschluss vom 09.01.2019 die Verlängerung des Versicherungsvertrages beschlossen zu haben. Als weitere potentiell relevante Handlung des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden führt die CHUBB an, er habe in seiner Rolle als Vorstandsvorsitzender der Wirecard AG jährlich die Richtigkeit der Konzernbilanzen per Bilanzeid bestätigt hat.

Auszug aus den CHUBB OLA 2015 Primeline:

Letztlich könne dahinstehen, ob man die beschriebenen Handlungen als ausreichende Grundlage für die Annahme einer generellen Offenbarungspflicht des Verfügungsklägers nach § 19 VVG auch ohne konkrete persönliche Mitwirkung an der Vertragsverlängerung bzw. der in diesem Zusammenhang durchgeführten erneuten Risikoprüfung genügen lassen könnte. Denn selbst wenn man dies im Ansatz annähme, setzt dies immer noch die Glaubhaftmachung einer Kenntnis des Verfügungsklägers von der tatsächlichen Vermögenslage der Gesellschaft bzw. der Unrichtigkeit der diesbezüglichen Außendarstellung der Gesellschaft – entweder in Form eines positiven Wissens oder zumindest des Rechnens mit der Unrichtigkeit – voraus, die weiterhin durch die D&O-Versicherung nicht erfolgt ist. Der Versicherer bezieht sich zur Glaubhaftmachung auf den Inhalt verschiedener Unterlagen, die aber weder jede für sich noch in der Gesamtschau mit überwiegender Wahrscheinlichkeit den Rückschluss erlauben, dass der Verfügungskläger positive Kenntnis davon hatte, dass die Darstellung der Vermögenslage der Wirecard AG unzutreffend war.

3.
„Im Rahmen der Leistungsverfügung dürfte der Antragsteller verlangen können, der Antragsgegnerin aufzugeben, ihn von den jeweiligen ersatzfähigen Verteidigungskosten freizustellen. Von daher ist der Verfügungsanspruch auf Freistellung von den Kosten der Anfertigung der Klageerwiderung in dem Verfahren vor dem Landgericht München auf der Grundlage der getroffenen Honorarvereinbarung gerichtet. Der Antragsteller hat ausreichend dargelegt, dass in dem komplexen Klageverfahren vor dem Landgericht München eine adäquate Verteidigung allein durch auf diesem Fachgebiet erfahrene und spezialisierte Rechtsanwälte möglich ist, die regelmäßig ihre Tätigkeit nur auf der Basis von Honorarvereinbarungen anbieten. Auch die begehrten Sätze sind als angemessen zu qualifizieren, zumal der Verfahrensbevollmächtigte des Verfügungsklägers eine anwaltliche Versicherung abgegeben hat.“