Trotz klarer BGH-Entscheidungen aus dem Jahres 2016 zur Abtretung des Freistellungsanspruchs und der Möglichkeit einer Direktklage des geschädigten Unternehmens gegen den D&O-Versicherer wurde in der Folgezeit von diversen Untergerichten die BGH-Rechtsprechung anders gedeutet. Das Urteil des OLG Köln (Az. 9 U 206/22) stärkt nun nicht nur das geschädigte Unternehmen in der direkten Auseinandersetzung mit ihren D&O-Versicherern, sondern schafft auch Klarheit bei Folgefragen einer Direktklage.

Bisher war umstritten, ob bei einer Abtretung des Freistellungsnanspruchs durch die versicherte Person an das geschädigte Unternehmen letzteres sich auf die Beweislastumkehr des § 93 Abs. 2 S. 2 AktG, die auch für das GmbHR gilt, berufen kann, oder ob man bzgl. des Verschuldens als anspruchstellendes Unternehmen nun den Vollbeweis erbringen muss.

Insofern hat das OLG Köln sehr ausführlich und eindeutig unter Darstellung des bisherigen Meinungsbildes Stellung bezogen:

Meinung 1:
Von einem Teil der versicherungs- und gesellschaftsrechtlichen Literatur wird vertreten, dass die DarIegungs- und Beweislast sich infolge der Abtretung zu Lasten der Gesellschaft ändert (Armbrüster in Bruck/Möller, VVG, 10. Aufl. 2021, A-9 Abtretung des Versicherungsschutzes Rn. 34; Brinkmann, ZlP 2017, 301, 306 ff; Dreher/Thomas, ZGR 2009, 31, 43 ff.). Begründet wird dies mit dem Hinweis, dass Grund für die Umkehr der Beweislast in § 93 Abs. 2 S. 2 AktG die besondere Sach- und Beweisnähe des Organs im Vergleich zur Gesellschaft sei. Weil das Organ im Zweifel den besseren Zugang zu Beweismittel hat, die geeignet sind, die Frage der Pflichtwidrigkeit aufzuklären, soll es auch das Risiko der Nichterweislichkeit tragen. Diese Sach- und Beweisnähe habe im Verhältnis Versicherung/Gesellschaft aber eher letztere, was dafür spreche, der Gesellschaft die Darlegungs- und Beweislast aufzuerlegen, denn die Versicherung habe weder aus eigener Anschauung Kenntnis über die fraglichen Vorgänge noch habe sie unmittelbaren Zugang zu den entsprechenden Unterlagen oder – anders als das (ausgeschiedene) Organ im Haftungsprozess – einen Anspruch auf Herausgabe dieser Unterlagen (Brinkmann, ZlP 2017, 301, 307). Dieser strukturelle Nachteil des Versicherers im Direktprozess im Vergleich zum Organ im Haftungsprozess werde auch durch die sich aus dem Versicherungsvertrag ergebenden Auskunftsrechte des Versicherers nicht ausgeglichen. Zwar versetze die Auskunftsobliegenheit den Versicherer theoretisch einerseits in die Lage, sich einen umfassenden Einblick in das zu beurteilende Geschehen zu verschaffen und führe bei einer Verletzung zur Leistungsfreiheit.

Gleichwohl trage der Versicherer das Risiko, nicht beweisen zu können, dass das Organ die Auskunftsobliegenheit verletzt habe. Selbst wenn ihm der Beweis gelänge, sei er mit dem lnsolvenzrisiko der Gesellschaft belastet, für den Fall, dass er bereits geleistet habe (Brinkmann, ZlP 2017, 301, 208). Überdies wäre eine analoge Anwendung des § 93 Abs. 2 S. 2 AktG im Direktprozess nur gerechtfertigt, wenn die Rechtsposition der Versicherung besser als die der Gesellschaft sei, was im Hinblick auf die – nachvertraglichen – Auskunftsrechte der Gesellschaft gegenüber dem Organ, das sie zudem als Zeugen benennen könne, nicht zuträfe (Brinkmann, ZIP 2017, 301, 308). Schließlich fehle es an einer planwidrigen Lücke als Voraussetzung für die analoge Anwendung des § 93 Abs. 2 S. 1 AktG, denn – unbeschadet des Umstandes, dass der BGH eine teleologische Reduktion des § 108 Abs. 2 VVG im Hinblick auf die D&O-Versicherung abgelehnt habe – habe der Gesetzgeber die D&O-Versicherung im Gesetzgebungsverfahrens nicht im Blick gehabt (Brinkmann, ZIP 2017, 301, 308).

Meinung 2:
Demgegenüber wird die (analoge) Anwendung der Beweislastumkehr gem. § 93 Abs. 2 S. 2 AktG unter Hinweis darauf befürwortet, dass sich durch die Abtretung die Rechtsstellung des Schuldners nicht verändere (Voit in Prölss/lvlartin, VVG, AVB D&O A-9 Rn. 2; Harzenetter, NZG 2016, 728, 732; R. Koch in Bruck/Möller, VVG, § 108 Rn. 64 ff.; U. Schmidt, FS Heidel 2021, 733, 745 ff.; Born in Krieger/Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3. Auf. 2017, Rn. 14.25; Baur/Holle AG 2017, 141, 143; Glimpel, Die Abtretung von Deckungsansprüchen nach § 108 Abs. 2 VVG, 2022, S. 245 ff.). Der Deckungsanspruch könne nur bei Bestehen des Haftungsanspruchs Erfolg haben, der sich (im Fall der Haftung des AG-Vorstands) wiederum nach § 93 Abs. 2 AktG richte, weshalb auch die dort angeordnete Verteilung der Darlegungs- und Beweislast unmittelbar, nicht analog, gelte (U.Schmidt, FS Heidel 2021, S. 733, 747; ebenso R. Koch in Bruck/Möller, VVG, 10. Aufl. 2021, § 108 Rn. 66). Dementsprechend stünde die Änderung der Beweisregel in Widerspruch zum allgemeinen Grundsatz bei lnzidenzprozessen‚ demzufolge das angerufene Gericht selbständig zu prüfen hat, wie eine für den Ausgang der Klage erhebliche Vortrage richtigerweise entschieden worden wäre (R. Koch in Bruck/Möller, WG, 10. Aufl. 2021, § 108 Rn. 66).

Überdies trage die Gegenmeinung dem Schutzzweck des § 108 Abs. 2 VVG nicht genügend Rechnung, der nach der Intention des Gesetzgebers (vgl. BT-Drucks. 16/3945 S. 87) nicht nur den Interessen des Versicherungsnehmers, sondern auch denen des Geschädigten Rechnung tragen sollte (R. Koch in Bruck/Möller, VVG, 10. Aufl. 2021, § 108 Rn. 64; Baur/Holle‚ AG 2017, 141, 146; Glimpel, Die Abtretung von Deckungsansprüchen nach § 108 ABs. 2 VVG, 2020, S. 250). Die Nichtanwendung des § 93 Abs. 2 S. 2 AktG im Direktprozess der Gesellschaft gegen die Versicherung führe jedoch zu einer erheblichen Schlechterstellung der Gesellschaft, wohingegen sich das versicherte Risiko zu Gunsten der Versicherung verlagere. Denn die Versicherung nehme bei Abschluss des Versicherungsvertrags bewusst in Kauf, an die Ergebnisse eines Haftungsprozesses, in dem die in § 93 Abs. 2 S. 2 AktG angeordnete Beweislastverteilung gelte, im Deckungsprozess gebunden zu sein (R. Koch in Bruck/Möller, VVG, 10. Aufl. 2021, § 108 Rn. 65; Baur/Holle, AG 2017, 141, 147). Auch der Umstand, dass das Organ der Versicherung nach § 31 Abs. 1 VVG zur Auskunft und Mitwirkung im Rechtsstreit gegen die Gesellschaft verpflichtet sei, spreche gegen eine teleologische Reduktion des § 93 Abs. 2 S. 2 AktG im Direktprozess. Tatsächlich sei die Stellung des Versicherers besser, da er – anders als im Deckungsprozess – das Organ als Zeuge benennen könne (Baur/Holle AG 2011, 141, 145).

OLG Köln:
Der Senat hält die zweite Ansicht, die eine Anwendung der Beweislastumkehr nach § 93 Abs. 2 S. 2 AktG auch im Direktprozess zwischen der Gesellschaft und der Versicherung annimmt, für zutreffend. Denn die Voraussetzungen der Anspruchsgrundlage des Haftungsansprüche, der inzident im Rahmen des Deckungsprozesses zu prüfen ist, ändern sich – wie grundsätzlich bei jeder Abtretung einer Forderung (vgl. Rohe in BeckOK BGB, 67. Ed. Stand: 01.08.2023, § 398 Rn. 59) – durch die Abtretung nicht: lediglich der Gläubiger wird ausgewechselt bei ansonsten unverändert fortbestehendem Schuldverhältnis. Dementsprechend gilt – im Falle der Pflichtverletzung durch ein Organ der AG – auch die sich aus dem Gesetz, § 93 Abs. 2 S. 2 AktG, ergebende Verteilung der Darlegungs- und Beweislast.

Da nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die geänderte Beweislastverteilung auch für den GmbH-Geschäftsführer gilt, ist auch über die Haftung des Geschäftsführers im Rahmen des lnzidenzprozesses nach diesen Grundsätzen zu entscheiden. Eine Differenzierung nach Gesellschaftsformen vorzunehmen, ist nicht gerechtfertigt. Tatsächlich ist die Versicherung im Direktprozess nicht schlechter gestellt als im vergleichbaren Fall, in dem zunächst die Gesellschaft den Haftungsprozess durchführt und anschließend das verurteilte Organ die Versicherung im Deckungsprozess in Anspruch nimmt. Bei getrennter Führung der Prozesse wäre die Versicherung an das Ergebnis des Haftungsprozesses gebunden, ohne dass sie an dem Rechtsstreit beteiligt ist. Demgegenüber kann sie im Direktprozess schon auf die Haftungsfrage Einfluss nehmen; ihr steht das Organ, das vertraglich Auskunft und Mitwirkung schuldet, als Zeuge zur Verfügung. im Übrigen führt dies auch zu einem Gleichlauf der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast bei den Fragen der Pflichtverletzung im Rahmen des Haftungstatbestandes und der Wissentlichkeit der Pflichtverletzung im Rahmen des Deckungstatbestandes.